Selbstfürsorge – was bedeutet das für mich?
Oft höre ich in meiner Praxis den Satz: „Ich weiß, ich sollte mehr Selbstfürsorge betreiben, aber ich weiß gar nicht, wie das geht.“
Allein dieses „sollte“ klingt schon nach zusätzlichem Druck – und genau das ist nicht die Idee von Selbstfürsorge.
Statt einer klaren Definition oder einer Liste von „10 Tipps“ möchte ich lieber eine Einladung aussprechen: Selbstfürsorge ist etwas sehr Persönliches. Jede:r von uns versteht etwas anderes darunter, jede:r lebt es auf eine eigene Weise.
Was gibt mir Kraft?
Manchmal lohnt es sich, in die eigene Vergangenheit zu schauen:
Wann habe ich mich zuletzt wirklich erholt gefühlt?
Was war in dieser Situation wichtig?
Welche Umstände haben mir gutgetan?
Vielleicht war es ein Spaziergang im Grünen, vielleicht ein Gespräch mit einer vertrauten Person, vielleicht auch schlicht das bewusste Nichts-Tun. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch.
Eine Klientin erzählte mir einmal, dass sie erst im Rückblick verstanden hat, wie sehr ihr der kurze Stopp am Nachhauseweg geholfen hat – ein stilles Sitzen auf einer Parkbank, fünf Minuten nur für sie. Für jemand anderen mag es das gemeinsame Kochen mit der Familie sein. Selbstfürsorge zeigt sich in vielen Facetten.
Selbstfürsorge ist kein „Projekt“
Ich erlebe oft, dass Menschen sich noch mehr Aufgaben aufladen, wenn sie an Selbstfürsorge denken: „Jetzt muss ich auch noch meditieren, Sport machen, perfekt schlafen …“
Doch Selbstfürsorge heißt nicht, eine weitere To-do-Liste abzuarbeiten. Es geht weniger um Pflicht und mehr um Haltung. Vielleicht ist es ein kurzer Moment am Tag, in dem ich bewusst innehalte, atme, spüre, was gerade da ist – und neugierig bleibe, was mir gut tut.
Hindernisse
Viele meiner Klient:innen erzählen auch von den Stolpersteinen:
Schuldgefühle, wenn man etwas für sich tut.
Der Gedanke, zuerst müssten alle anderen versorgt sein.
Oder die Frage: „Bin ich es überhaupt wert, mir Zeit zu nehmen?“
Das alles sind innere Stimmen, die ernst genommen werden dürfen. Und gleichzeitig eröffnet sich die Möglichkeit, ihnen neugierig und mitfühlend zu begegnen.
Ein Beispiel: Ein Klient bemerkte im Gespräch, dass er jedes Mal, wenn er etwas für sich plante, sofort das schlechte Gewissen im Kopf hatte: „Das ist egoistisch.“ Erst durch das Aussprechen konnte er erkennen, dass dieser Satz gar nicht von ihm selbst stammte, sondern eine alte Familienbotschaft war. Allein diese Erkenntnis hat schon etwas verändert.
Ein systemischer Blick
Aus systemischer Sicht ist Selbstfürsorge kein isolierter Akt. Ich bin eingebettet in Beziehungen, in Kontexte, in Rollen. Was für mich Selbstfürsorge bedeutet, hängt auch davon ab, in welchem Umfeld ich lebe.
Manchmal bedeutet Selbstfürsorge, Grenzen zu setzen – etwa im Beruf klar zu sagen, was möglich ist und was nicht.
Manchmal bedeutet es, Nähe zuzulassen – sich anzuvertrauen, Unterstützung zu holen.
Und manchmal ist es schlicht das Bewusstsein, dass ich eine Wahl habe, auch wenn sie klein erscheint.
Selbstfürsorge im therapeutischen Raum
In der Therapie entstehen oft neue Sichtweisen auf das Thema.
Manche entdecken, dass sie bereits viele Formen von Selbstfürsorge leben, ohne es so zu nennen.
Andere erkennen, wie alte Glaubenssätze sie davon abhalten, gut für sich zu sorgen.
Und wieder andere spüren im geschützten Rahmen zum ersten Mal, wie es ist, wenn die eigenen Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen dürfen.
In meiner Praxis geht es nicht darum, fertige Rezepte zu vermitteln. Vielmehr begleite ich Menschen dabei, ihre eigenen Antworten zu finden – und manchmal überrascht das Ergebnis sogar die Person selbst.
Eine kleine Einladung
Vielleicht mögen Sie sich eine Frage stellen – und die Antwort aufschreiben oder einfach still nachspüren:
„Woran würde ich merken, dass ich gut für mich gesorgt habe?“
Es geht nicht darum, sofort die perfekte Antwort zu finden. Allein die Frage öffnet oft schon einen neuen Blickwinkel. Manche spüren vielleicht Entspannung im Körper, andere denken an einen vertrauten Menschen, wieder andere an einen Ort der Ruhe.
Wenn Sie Lust haben, probieren Sie, die Antwort eine Woche lang im Alltag zu beobachten: Wann taucht dieses Gefühl auf? Wann fehlt es? Das kann ein erster Schritt sein, Selbstfürsorge bewusster wahrzunehmen.
Fazit
Selbstfürsorge ist kein Rezept, kein Standard, keine Pflicht.
Sie ist ein Weg, sich selbst kennenzulernen, ernst zu nehmen und herauszufinden, was individuell stärkt.
Und vielleicht ist genau das schon ein Anfang: sich zu erlauben, dass Selbstfürsorge für jede:n anders aussieht – und dass es genug ist, Schritt für Schritt die eigenen Antworten zu entdecken.
Über die Autorin
Ich bin Bettina Woloch, systemische Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision mit Praxen in 1010 Wien und 1140 Wien. Unter dem Motto: mit Hirn, Herz und Humor begleite ich Sie kompetent und einfühlsam auf Ihrem Weg zu mehr Wohlbefinden. Mehr zu meiner Arbeitsweise und Praxis finden Sie hier.